Wildtierhaltung in Privathand: (4) Nachteile und Risiken für die natürliche Umgebung

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Der Beitrag fasst die Gedanken und Fakten zusammen, die eine international ausgewiesene Expertengruppe um den belgischen Veterinär, Pathologen und Terrarianer Prof. Frank Pasmans 2017 in der Zeitschrift Veterinary Record veröffentlicht hat (siehe als Einleitung auch hier).

Wie in der Einleitung zu dieser Serie erwähnt, zeichnet sich die hier zusammengefasste Übersichtsarbeit gegenüber thematisch vergleichbaren Beiträgen dadurch aus, dass die verschiedenen Facetten und Probleme sorgfältig ausgeleuchtet werden und nicht Manches aus der Perspektive der je eigenen Interessen bagatellisiert oder auch aufgebauscht wird. So finden wir in einschlägigen Beiträgen in Terrarienkreisen nicht selten eine Vernachlässigung oder Verharmlosung möglicher Auswirkungen unseres Hobbies auf die natürliche Umgebung. Demgegenüber wird dieser Aspekt im vorliegenden Beitrag ausgesprochen differenziert gewürdigt, nämlich in beide Richtungen, also sowohl im Hinblick auf die Natur, der das Wildtier gegebenenfalls entnommen wurde (Herkunftsland), als auch im Hinblick auf die Natur, in die es importiert wird (Ankunftsland).

Auswirkungen der Terraristik auf die Natur in den Herkunftsländern
In Beiträgen zur Terraristik (unter anderem elaphe) wird üblicherweise die Auffassung verbreitet, dass die Entnahme von Wildtieren für die jeweiligen Tierbestände kein Problem darstelle und primär Habitatverluste und -verschmutzung für etwaige Probleme der jeweiligen Tierart verantwortlich sind. Diese Einschätzung findet sich auch in meinem eigenen Blog – und sie ist nach der Lektüre dieses Übersichtsartikels leider als falsch oder jedenfalls als beschönigend zu kritisieren, insofern die Terraristik „rein gewaschen“ und mit dem Finger nur auf andere gezeigt wird.

Der nüchterne Blick dieser Autoren, denen die Ökologie (der Herkunftsländer ebenso wie der Ankunftsländer) erkennbar genauso am Herzen liegt wie die Terraristik, vermittelt insofern ein anderes Bild, als sie mit Quellen belegen, dass Tierarten, die als bedroht registriert waren, mit einer größeren Wahrscheinlichkeit auf den Listen der Tierhändler aufgetaucht seien, als gewöhnlichere Arten. Weiter stellen sie fest, dass im Zeitraum von 2004-2014 allein in die EU insgesamt 20 Millionen Reptilien als Haustiere importiert wurden, von denen viele illegal gefangen worden seien. »Es gibt etliche Beispiele, wo der Wildfang von Amphibien und Reptilien für den Haustiermarkt die natürlichen Populationen geschwächt („compromise“) hat«.

Besonders ärgerlich erscheint in diesem Kontext, dass der rechtliche Status der Tiere in den Herkunftsländern nicht automatisch für die Ankunftsländer verbindlich ist. Dies hat zur Folge, dass die illegale Entnahme von bestimmten Tierarten zum unproblematischen Handel in Ankunftsländern führt: »Sobald sie (die illegal gefangenen Tiere) den Tiermarkt der EU oder der USA erreicht hatten, waren diese Tierarten nicht mehr durch irgendeine Gesetzgebung geschützt«. Eigentlich nennt man so etwas bei uns Hehlerei, die unter Strafe steht!

Auch sei es wiederholt vorgekommen, dass die per se seltenen Arten, die gerade erst neu entdeckt wurden, umgehend auf dem Tiermarkt auftauchten! Dies sind leider mitnichten nur kuriose Ausnahmeerscheinung gewesen, daran abzulesen, dass in der herpethologischen Fachwelt inzwischen diskutiert werde, nicht mehr den genauen Fundort der neu entdeckten Tierarten mit zu veröffentlichen, wie es unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten bislang gängige Praxis gewesen sei (und vermutlich auch wichtig ist).

Gemessen an dem riesigen Markt für Terrrarientiere mag dies alles geringfügig erscheinen und es entkräftet auch nicht meine eigenen Argumente, die ich in diesem Block an anderer Stelle vorgebracht hatte. Aber gerade die haarsträubenden Befunde zu den bedrohten und erst recht zu den gerade erst entdeckten Tierarten zeigen, dass die in der Terraristik (wie auch sonst beim Menschen) vorhandene Gier nach dem Seltenen und dem Spektakulären sehr wohl bedenkliche Auswirkungen auf die Natur der Entnahmeländer hat oder haben kann.

Auswirkungen der Terraristik auf die Natur in den Ankunftsländern
Die im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Negativauswirkungen galten ausschließlich für den Fall echter Wildfänge. Bei den nachfolgend beschriebenen Negativauswirkungen ist es jedoch zweitrangig, ob es sich um Wildfänge handelt oder um in den Ankunftsländern nachgezogene Exemplare. Dies gilt insbesondere für die erste Dimension der Negativauswirkung, nämlich das versehentliche oder gar mutwillige Freisetzen der Exoten (her passt der Begriff!) in die heimische Umgebung. Hierbei könne es, so die Autoren, zu beträchtlichen Negativeffekten kommen, etwa dadurch, dass die jeweilige Tierart sich als neuer Fressfeind (Prädator) etabliert, einheimische Arten im Wettstreit (um Futter, Habitate oder dergleichen) verdrängt würden, eine genetische Vermischung mit heimischen Arten stattfände, oder dass neuartige Krankheitskeime über die Tierart in der Umgebung verbreitet würden.

Dass auch hier nicht über „Peanuts“ geredet wird, merkt man spätestens, wenn man sich die Zahlen des europäischen Registers zur Erfassung fremdartiger Tierarten (DAISIE) vor Augen führt. Demnach seien mehr als 12.000 fremde Tierarten in (mindestens) ein europäisches Land eingeführt worden – und die Terraristik stellt gewissermaßen das wichtigste „Drehkreuz“ für Invasoren der Herpetofauna dar. In den USA, dem wichtigsten Terraristikmarkt, seien etwa in nur fünf Jahren (2000-2004) ca. 9 Millionen Reptilien importiert worden, die 799 Arten repräsentierten, von denen 89 % als Exoten („aliens“) anzusehen waren.

Der Handel mit Terrarientieren ist leider auch ein ernst zu nehmender Faktor für die Ausbreitung von Krankheitskeimen und Mikroorganismen als Invasoren („pathogen pollution“). Die schlimmsten Beispiele hierfür seien die Amphibien-Pandemie mit dem inzwischen auf traurige Weise berühmten Chitridpilz (Batrachochytrium dendrobatidis) bzw. seinem Salamander und Molche befallenden Pendant (Batrachochytrium salamandrivorans). Allerdings weisen die Autoren zu Recht darauf hin, dass die besonders verheerende Ausbreitung des Froschlurche befallenden Chitridpilzes vorrangig mit dem afrikanischen Krallenfrosch sowie dem nordamerikanischen Ochsenfrosch in Verbindung gebracht wird, deren globale Verbreitung eher über anderweitige Wirtschaftszweige (Labore, Nahrungsmittel) erfolgt sei und also nicht vorrangig auf das Konto des für die Terraristik betriebenen Wildtierhandel gehe.

Eine dritte Dimension des potentiellen Schadens in den Ankunftsländer betrifft die Schädigung von wirtschaftlich genutzten Tierbeständen der Ankunftsländer durch Krankheitserreger (als Invasoren), die mittels Terrarientieren in das jeweilige Land kämen. Dies sei in den USA sehr wohl als Problem bekannt, weshalb bestimmte Tierarten (aus Afrika) vom Import ausgeschlossen wurden. Für Europa existierten jedoch bislang keine Hinweise auf entsprechende Gefahrenlagen.

Es spricht für die Seriosität der Autoren, dass sie auch am Ende eines Abschnitts, der wie kein anderer schwergewichtige Argumente gegen die Terraristik vorgebracht hat, den Blick über den Tellerrand vornehmen und also Vergleiche zu anderen Haustieren anstellen. So sei es unter dem Gesichtspunkt der Beschädigung natürlicher Ressourcen ebenfalls sehr bedenklich (aber – wie man hier ergänzen sollte – gesellschaftlich fast gar nicht problematisiert), dass es z.B. für die USA Schätzungen gebe, wonach den Hauskatzen pro Jahr 1-4 Milliarden (!) Vögel zum Opfer fielen, oder dass allein 6 % der 39 Millionen Tonnen Lebendfisch, die 2006 für die Nahrungsmittelherstellung aus dem Meer gezogen wurden, allein für die Produktion von Katzenfutter ver(sch)wendet wurden.

Die Frage ist dann am Ende mit Blick auf die möglichen Gefahren und die tatsächlichen Belastungen für die Natur, die aus der Terraristik und dem dazugehörigen Handel resultieren: Was sind angemessene und verhältnismäßige Gegenmaßen?

Damit befasst sich der letzte Abschnitt dieser ausgezeichneten Übersichtsarbeit, den ich im nächsten Teil dieser Serie zusammenfasse.

Ein Kommentar

  1. Die Gefahr für die einheimische Fauna durch das Aussetzen von Exoten gilt hierzulande oft als nicht so hoch, weil das strenge hiesige Klima den meisten „Exoten“ im Winter den Garaus mache – wenn sie denn wirklich aus „exotischen“ Ländern stammen.
    Dass wir sehr wohl auch echte Neuansiedler haben, die sicher auf das Konto der Terraristik gehen, brachte jüngst eine kleine Meldung zum Ausdruck, die in der Ausgabe 5/23 der DATZ unter der Überschrift „Schildkröten-Invasion im Ländle“ veröffentlicht wurde (S. 13f). Darin berichtet Katharina Decker, Pressesprecherin der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, dass nach dem Verbot der nordamerikanischen Schmuckschildkröte (Trachemys scripta) als „einer der meistverbreiteten und schädlichsten invasiven Reptilienarten“ diverse andere Süßwasser-Schildkrötenarten die durch Verbot geschaffene Lücke gefüllt hätten – und nun ihrerseits bereits im Freiland gefunden werden könnten. Konkret geht es hier um Pseudemys concinna sowie Graptemys pseudogeographica, die sich beide nachweislich (mindestens) in Baden-Würthemberg bereits vermehrt und dadurch etabliert hätten.
    Nun soll durch ein Forschungsprojekt geklärt werden, ob sie nur negative Auswirkungen auf das hiesige Ökosystem haben (vor allem mit Blick auf die einzige einheimische Schildkrötenart), oder aber auch nützliche Effekte aufweisen. Letzteres gilt mit Blick darauf, dass die einheimische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) weitgehend gar nicht mehr vorhanden ist, also im Ökosystem bereits eine Lücke klafft. Es gelte also zu klären, ob durch eingeschleppte Arten „Ökosystemleistungen in geschädigten Biotopen“ übernommen würden, die durch das Fehlen der einheimischen Arten ansonsten nicht mehr erbracht würden.
    Zu Recht weist der kleine Beitrag von Frau Decker aber auch darauf hin, dass unbesehen des möglichen Positiveffekts einzelner invasiver Arten schon allein das Problem der Auswilderung von Keimen, Parasiten und anderen Krankheitserregern durch die als Wirt fungierenden, ausgesetzten Exoten ein großes Problem darstellen könne. Dies alleine rechtfertige bereits das strikte Befolgen des Verbots, in Privathand gehaltene Tiere (auch einheimische!) in das Freiland auszusetzen.

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